Im Podcast-Interview mit Prof. Dr. Michael Braungart

Unternehmen müssen heute immer stärkere Maßnahmen ergreifen um in ihrer Identität als „zukunftsfähig“ wahrgenommen zu werden. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Schlagwort. Ein wichtiges Prinzip zur ressourcenschonenden Herstellung oder einer disruptiven Denkstruktur für Kreislaufwirtschaft ist Cradle to Cradle. Marketing und Branding – Alles prägt den Fußabdruck und könnte besser gesteuert werden wenn dieses Prinzip gleich in der Corporate Identity verankert wird. Wir freuen uns sehr auf das Gespräch mit Prof. Dr. Michael Braungart.

Ina:
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, herzlich Willkommen in unserem Podcast »The Art of Branding«. Wir sind Ina Kaiser und René Götzenbrugger. Heute sprechen wir mit einem besonderen Gast über das Kreislaufprinzip Cradle to Cradle. Herzlich Willkommen Prof. Dr. Michael Braungart.

DER FAIL

Leider haben wir an dieser Stelle versagt!
Stellt euch vor, Du gewinnst Deinen Traumgast für ein Podcast-Interview. Endlich ist es soweit. Das Gespräch läuft sensationell. Du verabschiedest Dich, bist stolz und glücklich und drückst auf replay um gleich nochmals reinzuhören.

Und dann: SILENCE. SILENZIO. NADA. NISCHT!

Wir und die Technik haben versagt. Unsere Stimmen in bester Qualität vorhanden, von der Stimme unseres Gastes Prof. Dr. Braungart keine Spur. Keine Tonspur.

Um unseren Fehler einigermaßen gerade zu rücken, haben wir versucht das Interview zu vertextlichen. Wir konnten nicht alles bis ins kleinste Detail rekonstruieren und mussten in den Texten etwas improvisieren. Für uns hört es sich gut an:

Prof. Dr. Braungart:
Hallo, schön, dass ich heute in Ihrem Podcast sein darf.

Ina:
Ich werde nun einleitend ein paar Worte zu Ihnen sagen. Prof. Dr. Michael Braungart Sie sind ein renommierter Umweltwissenschaftler und Chemiker. Sie sind  Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von BRAUNGART EPEA, einem internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstitut mit Hauptsitz in Hamburg. Zudem sind Sie Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von McDonough (Donaf) Braungart Design Chemistry (MBDC) in den USA sowie des Hamburger Umweltinstituts e.V. (HUI).

Prof. Dr. Braungart unterbricht die Einleitung:
Ich mag solche Vorstellungen über mich gar nicht, bitte keine Ehrung, keine Preise, keine Wertschätzung.

Ina:
Alles klar.

Prof. Dr. Braungart:
Studenten heute wollen immer Wertschätzung. Mein Großvater war Viehhändler und hat immer den Wert der Kühe geschätzt, indem er ihnen in den Po gezwickt hat. Stellen Sie sich vor das würde ich heute mit meinen Studentinnen und Studenten machen. Nein ich halt davon nichts. Es geht darum dass man selbst ist und darum, dass man was beiträgt. Die Leute verfolgen die falschen Dinge. Sie müssen wissen, 20% von dem, was ich sage, ist Quatsch, 70% ist Wahnsinn und 10% ist brauchbar und sollte genutzt werden.

René:
Das ist super, ich finde es schön, wenn Menschen die hoch dotiert sind und wirklich was geleistet haben, dann doch so bodenständig bleiben. Vielen Dank schon mal dafür. Dann brechen wir die Einleitung jetzt hier ab. Herr Braungart, wir haben 2025. Aktuell ist das Thema Nachhaltigkeit in aller Munde, so langsam kommt das Thema an, Sustainability werden zu Modewörtern und gleichzeitig zu Buzzwörtern. Jetzt haben Sie aber dieses Cradle to Cradle Prinzip bereits 1990 entwickelt. Ich selber bin ja Industriedesigner und Innovator und ich weiß wie das ist, wenn man weitsichtig ist. Man wird ganz oft als Spinner oder Fantast abgetan. Gerade von der Industrie und der Wirtschaft. Wie war denn Ihr Weg von 1990 bis heute, wie haben die Firmen auf Sie reagiert? Sind sie gleich mit offenen Armen empfangen worden oder war das extrem schwierig?

Prof. Dr. Braungart:
Es freut mich zu hören, dass Sie das Cradle-to-Cradle-Prinzip schätzen. Als wir 1990 mit diesem Konzept begannen, war es tatsächlich eine Herausforderung, die Industrie und Wirtschaft davon zu überzeugen. Viele sahen uns als Idealisten oder gar als Träumer. Die Idee, dass Produkte so gestaltet werden könnten, dass sie entweder biologisch abbaubar sind oder in technischen Kreisläufen endlos wiederverwendet werden können, war für viele schwer zu fassen.

Wichtig war für meinen amerikanischen Partner und mich im ersten Schritt einen internationalen Begriff zu wählen, denn das hören deutsche Unternehmen lieber und auch die Amerikaner wollen einen amerikanischen Begriff. So entstand unser Prinzip Cradle to Cradle – von der Wiege zur Wiege, anstatt von der Wiege zur Bare zu denken. Ich war immer zuversichtlich und guter Dinge, dass dieses Prinzip irgendwann Erfolg haben wird. Und ich hätte nie gedacht, dass sich der Erfolg schon zu meinen Lebzeiten einstellt.

René:
Das ist toll, das heißt sie sind nicht unterzukriegen!

Ina:
Was sind denn heute noch die größten Missverständnisse über Cradle to Cradle, denen Sie heute begegnen?

Prof. Dr. Braungart:
Wir denken wenn wir weniger machen, zerstören wir weniger, anstatt daran zu denken was nützlich ist. Niemand braucht eine Waschmaschinen, sondern wir brauchen saubere Wäsche. Niemand braucht einen Bohrmaschine, sondern wir brauchen Löcher. Es ist besser, wenn wir Nutzungsdauer kaufen für eine bestimmte Zeit. Die Menschen versuchen durch nachhaltige Maßnahmen weniger schlecht zu sein. Sie möchten ihren ökologischen Fußabdruck minimieren, anstatt gut zu sein.

Zum Beispiel Alkohol trinken ist persé schlecht. Jedoch muss man hier die gesellschaftliche Komponente der Geselligkeit sehen, die uns gesund hält. Ich würde dafür plädieren lieber Champagner als Prosecco zu trinken, denn der ist gesünder. 😉

Ina:
lacht.

René:
Wir haben eine Kundin, Vanessa Vanini, die mit ihrem Startup »polyformer« nun Cradle to Cradle zertifiziert ist. Sie bringt Messeteppiche aus Polyurethan in einen neuen Kreislauf, so dass der Teppich in Pallets aufbereitet für die Kunstoff Spritzgusstechnik funktioniert.

Prof. Dr. Braungart:
Ich freue mich, wenn junge Menschen solche Ideen in Startups bringen. Das ist jedoch genau der Weg wie oben beschrieben. Wir sollten uns an dieser Stelle nochmal fragen, wie der Boden der Messehallen beschaffen ist und ob wir überhaupt Teppiche brauchen. Erst dann können wir nicht nur verbessern, sondern ändern.

Ina:
Wir sind auf dem Trip wie es die Medizin ist: wir versuchen Symptome zu bekämpfen, aber so richtig an die Ursache gehen wir nicht.

Prof. Dr. Braungart:
Wissen Sie eine Person kann schon viel bewirken. Nachdem ein junger Mann, Sohn eines Funktionärs eines Skiverbandes, herausgefunden hatte, dass herkömmliches Skiwachs schädliche Umweltgifte enthält, setzte er sich dafür ein, dass natürliches Skiwachs verwendet wird. Dank seinem Engagements wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das den Einsatz von natürlichem Skiwachs vorschreibt. Dieses Gesetz wurde in kurzer Zeit weltweit umgesetzt. Er hat damit die Welt ein Stück verbessert. Wir sollten uns nicht fragen wie wir mehr beispielsweise CO2 einsparen, denn ich kann Ihnen sagen, dass wenn wir Menschen permanent Aufzugfahren würden, würden wir am meisten CO2 sparen. An dieser Stelle müssen wir uns fragen was der Welt nützt!

René:
Als ich den Begriff Cradle to Cradle 2007 das erste Mal in Unternehmen präsentiert habe, haben die mich mit großen Augen angeschaut und ich musste ihn auch immer übersetzen. Was bedeutet es denn von der Wiege zur Wiege? Der Begriff ist mittlerweile zur Marke geworden und den kennt man in Unternehmen überall, auch international. Wie macht man sowas auch international bekannt oder wie wird das in unterschiedlichen Ländern angenommen? Gibt es denn ein Industrieland, wo Sie sagen würden, die machen das schon ganz gut?

Prof. Dr. Braungart:
Wir müssen die Menschen in ihrer Sprache abholen. In Asien auf dem Land beispielsweise ist es völlig normal, dass wenn ich zum Essen eingeladen werde, ich am Ende auch Rohstoffe da lasse. Ein Toilettengang als Dank bringt Dünger für die Felder. Das bedeutet die Asiaten verstehen das Kreislaufprinzip schon ganz gut. Es ist wichtig Menschen in ihrer eigenen Kultur und Sprache abzuholen. Japaner verstehen es im Gegensatz zum Deutschen wenig, wenn ich sage dieses Produkt muss hier optimiert werden. Wenn ich hingegen sage, mache es bitte hier schön, verstehen sie es. Denn der Aspekt der Ästhetik wird in Japan sehr geschätzt.

René:
Erinnert mich an eine Geschichte. Ich war zur Jahrtausendwende bei einem Stuttgarter Automobilunternehmen mit dem schönen Stern vorne drauf. Ich war in der Vorentwicklung und habe damals gesagt, mensch Leute, wir sollten uns mal Gedanken darüber machen, was bedeutet denn Mobilität? Um das ganze Thema zu betrachten. Und dann wurde mir gesagt, nein wir machen keine Mobilität, wir sind ein Motorenwerk und machen außen herum eine Karosserie. Das ist unsere Aufgabe. Das beschreibt ganz schön, was Sie gerade über die Deutsche Kultur gesagt haben.

Prof. Dr. Braungart:
Das haben Sie falsch gemacht, sie haben ihnen Angst gemacht. Sie hatten das Gefühl sie wollen ihnen was wegnehmen.

Sehen sie, wir haben wunderbare Betriebswirtschaftler und wunderbare Juristen, aber viel zu wenig Naturwissenschaftler. Das Problem ist, dass Betriebswirtschaftler das Management übernommen haben und sie können nur das optimieren was sie sehen, sie können nicht die Welt verbessern. An der Stelle plädiere ich für Chemie und Physik als Grundausbildung um die Dinge zu verstehen.

Warum schauen wir uns nicht das Böse an und übernehmen das Gute? Nazis beispielsweise tragen nur ein Paar Springerstiefel, das ist durchaus gesünder, als ein Mensch mit 150 Paar Schuhen. Der Schuhabrieb, genauso wie Reifenabrieb wird immer mehr perfektioniert, immer robustere, immer langlebiger und aggressiver. Gummiabrieb führt zu Feinstaubpartikel, die wir einatmen. Ein Grund warum sich heute Mikroplastik in jeder Zeller unseres Körpers befindet. Ich bin dafür, dass z.B. Deichmann losgeht und gesunde Schuhsohlen entwickelt.

Ein anderes Thema sind PET-Flaschen. Sie sind nicht dafür ausgelegt, wieder befüllt zu werden und dann kam ein neues Gesetz, dass das Befüllen vorschreibt. Bei der Reinigung bleiben Rückstände von Reinigungsmitteln im Plastik zurück, die wir dann mit der Flüssigkeit aufnehmen.

Auch manche Laserdrucker sind extrem giftig, machen sogar Männer unfruchtbar. Das bringt wieder eine Reduktion der Gesellschaft, was für den Planeten gut wäre, aber nicht mein Ansatz ist. Wenn ein Mann nach diesem Podcast, seinen Laserdrucker entsorgt, hat sich dieses Interview schon gelohnt. Wir sollten uns wirklich Gedanken machen mit was wir uns naheliegend umgeben, was wir tatsächlich brauchen und was wir Gutes tun können.

René:
Sehr schön, die Stunde ist verflogen wie nochmal was, es ist unglaublich faszinierend Ihnen zuzuhören. Ich bin gleich in jede Faser motiviert einiges aufzuräumen. Man kann ja nicht gleich immer auf 100% skalieren, aber ich glaube viele Leute müssen Sie hören.

Ina:
Welche Botschaft möchten Sie unseren Zuhörer*innen mitgeben?

Prof. Dr. Braungart:
Wir müssen anfangen nicht das falsche richtig zu optimieren, sondern das richtige zu tun. Für eine gesunde Zukunft.

Ina: Sehr schön gesagt, wir bedanken uns sehr für die Impulse, die sie uns da mitgegeben haben, unsere Zuhörer*innen werden sich da sicher freuen und werden mit Sicherheit auch motiviert sein. Wir werden Sie verlinken und machen jetzt die offizielle Verabschieden. Vielen Dank fürs Zuhören eure Ina und René und Herr Braungart.

LINKS ZUM GAST

Website: www.michaelbraungart.com

Buch: Cradle to Cradle im Piper Verlag
von Michael Braungart und William McDonough Cradle to Cradle
Filmtipp: Plastic fantastic
Weiterer Buchtipp: Our stolen future

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